Vergaberecht: Vergabeunterlagen müssen klar und eindeutig sein

In den letzten Jahren gab es wiederholt Entscheidungen, die klargestellt haben, dass der öffentliche Auftraggeber auf eine transparente und eindeutige Ausschreibung achten muss. Unklarheiten dürfen grundsätzlich nicht zu Lasten der Bieter gehen. Hier eine kleine Auswahl:

EuGH, Urteil vom 02.05.2019 – Rs. C-309/18

Der Europäische Gerichtshof stellte in dieser Entscheidung zu einem italienischen Vergabeverfahren fest, dass ein irreführender Angebotsvordruck dazu führen kann, dass die Vergabestelle fehlende Informationen beim Bieter nachfordern muss. Der EuGH führte aus, dass der Auftraggeber die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Gleichbehandlung und der Transparenz wahren muss. Die Bieter müssen bei der Abfassung ihrer Angebote die gleichen Chancen haben, was voraussetzt, dass die Angebote aller Bieter den gleichen Bedingungen unterworfen sind. Mit dem Transparenzgebot soll die Gefahr von Günstlingswirtschaft und von willkürlichen Entscheidungen des Auftraggebers ausgeschlossen werden. Es verlangt, dass alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens in der Bekanntmachung oder im Lastenheft klar, genau und eindeutig formuliert sind. Dadurch sollen alle durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt deren genaue Bedeutung verstehen sowie sie in gleicher Weise auslegen können und der Auftraggeber soll dadurch imstande sein, tatsächlich zu überprüfen, ob die Angebote der Bieter die für den betreffenden Auftrag geltenden Kriterien erfüllen.

OLG Dresden, Beschluss vom 21.02.2020 – Verg 7/19

Der Auftraggeber hatte den Bieter ausgeschlossen, weil dieser zum einen sein Angebot per Post (anstatt elektronisch) eingereicht hatte und zum anderen, da die eingereichten Unterlagen unvollständig gewesen sein sollen. Das OLG Dresden erteilte beiden Ausschlussgründen eine Absage. Nach Ansicht des Gerichts wurde in den Vergabeunterlagen nicht hinreichend deutlich vorgegeben, in welcher Form die Angebotsabgabe erfolgen soll. Daher war die postalische Einreichung zulässig. Auch der Ausschluss wegen Unvollständigkeit der Unterlagen war unbegründet, da der Auftraggeber sein Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt hatte. Insbesondere hatte der Auftraggeber eine Checkliste verwendet, in der angegeben wurde, welche Unterlagen vorzulegen sind. Die von ihm als fehlend bemängelten Unterlagen waren dort aber nicht enthalten. Das konnte daher nicht zu Lasten des Bieters gehen.

VK Westfalen, Beschluss vom 16.03.2021 – VK 2-1/21

Hier schrieb ein öffentlicher Auftraggeber Malerarbeiten für ein Schulgebäude aus. Das Leistungsverzeichnis (LV) teilte er in mehrere Lose auf, um eine bessere Zuordnung bei der Abrechnung zu erhalten. Es sollte aber keine losweise Vergabe erfolgen, sondern eine Gesamtvergabe, was aus den Vergabeunterlagen auch hervorging. Der Bieter kalkulierte die teilweise identischen Leistungen in den Losen unterschiedlich und setzte entsprechend unterschiedliche Preise auch bei identischen Leistungspositionen ein. Obwohl der Bieter auf Nachfrage seine Kalkulation erläuterte, erfolgte ein Ausschluss. Dagegen wendete sich der Bieter im Nachprüfungsverfahren und hatte Erfolg. Die Vergabekammer Westfalen war der Auffassung, dass der Bieter aufgrund der Gliederung des LV sowie der Baubeschreibung davon ausgehen durfte, dass er seine Einheitspreise für die einzelnen Abschnitte unterschiedlich kalkulieren durfte.

VK Nordbayern, Beschluss vom 20.08.2021 – RMF-SG21-3194-6-29

Der Entscheidung lag zu Grunde, dass der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen eine Begrifflichkeit verwendete, die unterschiedlich verstanden werden konnte (hier: „in Form des agilen Arbeitens“). Die von der Vergabestelle verursachte Unklarheiten durften auch hier nicht zu Lasten der Bieter gehen.

Zusammenfassung:

Der Auftraggeber ist dafür verantwortlich, die Vergabeunterlagen transparent, klar und eindeutig zu gestalten. Unklarheiten dürfen grundsätzlich nicht zu Lasten der Bieter gehen. Die Bieter müssen aber die Rügeobliegenheiten und die damit verbundenen Fristen beachten (§ 160 Abs. 3 GWB). Verstöße gegen Vergabevorschriften, die in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, sind bis spätestens zum Ablauf der Bewerbungs- bzw. Angebotsfrist gegenüber dem Auftraggeber zu rügen.  Zudem muss tatsächlich eine Unklarheit vorliegen. Gelangt die Vergabekammer bzw. das Beschwerdegericht zu der Auffassung, dass die Vergabeunterlagen – ggfs. auch durch Auslegung – hinreichend eindeutig sind, liegen keine unklaren Vergabeunterlagen vor.Für eine Beratung steht Ihnen das Vergaberechtsteam von MKM + PARTNER gerne zur Verfügung.

Autor: Ralph Weiss (Rechtsanwalt – Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht)