Zur Wahlanfechtung von Betriebsratswahlen

Die regelmäßigen Betriebsratswahlen finden alle vier Jahre in der Zeit vom 1. März bis 31. Mai statt. Nicht immer verläuft das Wahlverfahren fehlerfrei. Unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht § 19 BetrVG die Anfechtung einer rechtsfehlerhaften Betriebsratswahl. In diesem Fall kann sowohl die Wahl des gesamten Betriebsrats als auch die Wahl nur eines oder einzelner Betriebsratsmitglieder angefochten werden. 

Welche Voraussetzungen hat die Wahlanfechtung?

Eine Wahlanfechtung setzt voraus, dass gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde (vgl. § 19 Abs. 1 BetrVG). Es muss sich mithin um Vorschriften handeln, die tragende Grundprinzipien der Betriebsratswahl enthalten und zwingenden Charakter haben (vgl. BAG, Beschluss vom 12.06.2013 – 7 ABR 77/11, Rn. 15 ff., beck-online). Das bedeutet, dass nicht jeder Gesetzesverstoß zur Anfechtung der Betriebsratswahl berechtigt. Daher rechtfertigt die Verletzung reiner Ordnungsvorschriften oder Sollbestimmungen nicht die Anfechtung einer Betriebsratswahl (vgl. Fitting, 30. Auflage 2020, § 19 BetrVG, Rn. 10 m.w.N.). 

Was sind die Vorschriften über das Wahlrecht?

Die §§ 7, 8 BetrVG enthalten wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht. Das Bundesarbeitsgericht hat beispielsweise in folgenden Fällen ein Recht zur Wahlanfechtung bejaht:

  • Die Nichtzulassung von wahlberechtigten Arbeitnehmern berechtigt als Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht im Sinne des § 7 BetrVG zwar grundsätzlich zur Anfechtung der Wahl, sie ist aber regelmäßig nicht geeignet, die Nichtigkeit der Betriebsratswahl zu begründen (vgl. BAG, Beschluss vom 30.06.2021 – 7 ABR 24/20, Rn. 33 f., beck online). Gleiches gilt für Verstöße gegen § 2 Abs. 1 WO. Wenn die Wählerliste entgegen § 2 Abs. 1 Satz 2 WO nicht die Geburtsdaten der Wahlberechtigten enthält, ist dies nicht geeignet die Nichtigkeit der Wahl zu begründen (vgl. BAG, Beschluss vom 30.06.2021 – 7 ABR 24/20, Rn. 33, beck-online).
  • Die Zulassung nicht wählbarer Arbeitnehmer als Wahlkandidaten kann die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl begründen (vgl. BAG, Urteil vom 13.06.2007 – 7 ABR 44/06, Rn. 11 ff., beck online). In diesem Fall ging es um die Wahlbeteiligung von Auszubildenden, die nicht nach 7 Satz 1 BetrVG wahlberechtigt sind, da sie keine Arbeitnehmer i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sind. Auch die zur Arbeitsleistung überlassenen Arbeitnehmer sind im Kundenbetrieb nicht wählbar (vgl. BAG, Beschluss vom 17.02.2010 – 7 ABR 51/08, Rn. 14 ff., beck-online). Für die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung folgt dies unmittelbar aus § 14 Abs. 2 Satz 1 AÜG. Für die nicht gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung gilt nichts Anderes. Wahlberechtigt i.S. von § 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sind danach nur die nach § 7 Satz 1 BetrVG, nicht dagegen die nach § 7 Satz 2 BetrVG wahlberechtigten Arbeitnehmer.
  • Die Nichtzulassung eines fristlos oder fristgerecht gekündigten Arbeitnehmers begründet die Anfechtbarkeit der Wahl, solange die Wirksamkeit der Kündigung nicht feststeht (vgl. BAG, Beschluss vom 10.11.2004 – 7 ABR 12/04, beck-online). Der ordentlich gekündigte Arbeitnehmer bleibt für die Wahl des Betriebsrats nach 8 Abs. 1 BetrVG wählbar, wenn er eine Kündigungsschutzklage erhoben hat. Das gilt auch dann, wenn die Betriebsratswahl nach Ablauf der Kündigungsfrist durchgeführt und der gekündigte Arbeitnehmer nicht weiterbeschäftigt wird.
  • Ebenso begründet die Zulassung von Beamten, die in Betrieben privatisierter Unternehmen tätig sind, die Anfechtbarkeit (vgl. BAG, Beschluss vom 28.03.2001 – 7 ABR 21/00, NZA 2002, 1294, beck-online). Wahlberechtigt bei Betriebsratswahlen sind Beschäftigte, die auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienst eines anderen zur Leistung fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet sind und diese innerhalb der Betriebsorganisation des Arbeitgebers erbringen. Das Beamtenverhältnis ist jedoch weder seinem Inhalt noch seinem Zustandekommen nach ein Arbeitsverhältnis. Deshalb sind Beamte mit Ausnahme der spezialgesetzlich ausdrücklich geregelten Fälle keine wahlberechtigten Arbeitnehmer im Sinne von § 7 BetrVG. Dies gilt auch, wenn sie in einem von einem privaten Rechtsträger allein oder gemeinsam mit einem öffentlichen Rechtsträger geführten Betrieb eingegliedert sind.

Was sind die Vorschriften über das Wahlverfahren?

Die §§ 9 – 18 BetrVG und die Vorschriften der WO sind Vorschriften über das Wahlverfahren.

Die Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl ist beispielsweise in folgenden Fällen gegeben:

  • verfristete Einreichung von Wahlvorschlägen (vgl. BAG, Beschluss vom 16.01.2018 – 7 ABR 11/16, Rn. 20, beck-online);
  • unterbliebene Berücksichtigung rechtzeitig eingereichter Wahlvorschläge wegen vermeintlicher Verfristung (vgl. BAG, Beschluss vom 28.04.2021 – 7 ABR 10/20, Rn. 17 ff., beck-online);
  • gravierende Fehler bei der Bestellung des Wahlvorstands (vgl. BAG, Beschluss vom 27.07.2011 – 7 ABR 61/10, Rn. 17 ff., beck-online);
  • fehlende oder nicht ordnungsgemäße Bekanntgabe des Wahlausschreibens (vgl. BAG, Beschluss vom 21.01.2009 – 7 ABR 65/07, Rn. 15 ff., beck-online);
  • fehlerhaftes Wahlausschreiben (vgl. BAG, Beschluss vom 13.03.2013 – 7 ABR 67/11, Rn. 10 ff., beck-online);
  • nachträgliche Änderungen und Ergänzungen der Wählerliste am Wahltag entgegen § 4 Abs. 3 Satz 2 WO um bislang nicht gelistete wahlberechtigte Arbeitnehmer und Teilnahme dieser Arbeitnehmer an der Wahl (vgl. BAG, Beschluss vom 21.03.2017 – 7 ABR 19/15, Rn. 22 ff., beck online);
  • Durchführung der Wahl unter Verkennung des Betriebsbegriffs (vgl. BAG, Beschluss vom 16.01.2018 – 7 ABR 21/16, Rn. 15 ff.; Beschluss vom 22.11.17 – 7 ABR 40/16, Rn. 21 ff., jeweils beck-online);
  • falsche Anzahl zu wählender Betriebsratsmitglieder (vgl. BAG, Beschluss vom 07.05.2008 – 7 ABR 17/07, Rn. 14 ff., beck-online);
  • Durchführung einer Betriebsratswahl im vereinfachten Verfahren an Stelle der Regelwahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gem. § 14 BetrVG sowie Missachtung der Vorschriften des § 2 Abs. 1, § 3, § 37, § 36 Abs. 2 WO (vgl. BAG, Beschluss vom 19. 11. 2003 – 7 ABR 24/03, beck-online);
  • Verletzung der Unterrichtungspflicht nach § 2 Abs. 5 WO gegenüber ausländischen Arbeitnehmern hinsichtlich Wahlverfahren, Aufstellung der Wähler‑ und Vorschlagslisten, Wahlvorgang und Stimmabgabe durch Unterrichtung nur in deutscher Sprache (vgl. BAG, 13.10.2004 – 7 ABR 5/04, Rn. 9 ff., beck-online);
  • Stimmabgabe im Wahllokal entgegen § 11 Abs. 1Satz 2 und § 12 Abs. 3 WO ohne Verwendung von Wahlumschlägen (vgl. BAG, Beschluss vom 20.01.2021 – 7 ABR 3/20, Rn. 17 ff., beck-online);
  • mehr Stimmzettel in der Wahlurne als Stimmabgaben in der Wählerliste vermerkt (vgl. BAG, Beschluss vom 12.06.2013, Rn. 15 ff., beck-online).

Bis wann können Verstöße gegen wesentliche Vorschriften noch korrigiert werden?

Die Wahl ist anfechtbar, wenn der Verstoß gegen wesentliche Vorschriften nicht mehr rechtzeitig korrigiert werden kann und eine Beeinflussung des Wahlergebnisses bewirken kann.

Grundsätzlich können Verstöße gegen wesentliche Vorschriften korrigiert werden. In zeitlicher Hinsicht setzt dies voraus, dass die Wahl anschließend noch ordnungsgemäß ablaufen kann, ohne dass sich der berichtigte Fehler noch auf das Wahlergebnis auswirken kann (vgl. Fitting, 30. Auflage 2020, § 19 BetrVG, Rn. 23).

In welchem Fall berechtigen selbst Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nicht zur Anfechtung?

Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften berechtigen dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn die Verstöße das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten (vgl. § 19 Abs. 1 letzter Hs. BetrVG). Dies ist dann der Fall, wenn hypothetisch betrachtet eine Wahl ohne den Verstoß unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte (vgl. BAG, Beschluss vom 21.03.2017 – 7 ABR 19/15, Rn. 30, beck-online). Eine verfahrensfehlerhafte Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre. Beispielsweise ist die Wahlanfechtung auch dann, wenn nicht zur Teilnahme an der Wahl Berechtigte mitgewählt haben, nicht begründet, wenn das Wahlergebnis auch bei Streichung ihrer Stimmen im Ergebnis nicht anders ausfallen würde.

Stellt sich die Möglichkeit der Berichtigung des Wahlergebnisses erst im Anfechtungsverfahren heraus, hat das Arbeitsgericht das Wahlergebnis in dem Beschluss zu korrigieren (vgl. Fitting, 30. Auflage 2020, § 19 BetrVG, Rn. 28).

Wer ist anfechtungsberechtigt?

Die Wahl kann durch drei am Wahltag wahlberechtigte Arbeitnehmer, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder den Arbeitgeber beim Arbeitsgericht angefochten werden (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG).

Keine Voraussetzung der Anfechtungsbefugnis ist, dass die Arbeitnehmer zuvor Einspruch gegen die Wählerliste eingelegt haben (vgl. BAG, Beschluss vom 21.03.2017 – 7 ABR 19/15, Rn. 16, beck-online).

Die Anfechtung durch die Arbeitgeberseite ist ausgeschlossen, soweit sie darauf gestützt wird, dass die Wählerliste unrichtig ist und diese Unrichtigkeit auf seinen Angaben beruht (vgl. § 19 Abs. 3 Satz 3 BetrVG). In Gemeinschaftsbetrieben besteht die Besonderheit, dass nur alle beteiligten Arbeitgeber gemeinsam zur Anfechtung berechtigt sind (vgl. LAG Düsseldorf, Beschluss vom 12.01.2016 – 10 TaBV 88/14, Rn. 17 ff., beck-online).

Nicht zur Anfechtung berechtigt ist der einzelne Arbeitnehmer. Auch der Betriebsrat ist nicht anfechtungsberechtigt (vgl. Fitting, 30. Auflage 2020, § 19 BetrVG, Rn. 33). Ebenfalls nicht zur Wahlanfechtung berechtigt ist der Wahlvorstand; denn das Amt des Wahlvorstandes erlischt mit Durchführung der Wahl (vgl. BAG, Beschluss vom 14.11.1975 – 1 ABR 61/75, beck-online). 

Welche Frist gilt für die Wahlanfechtung?

Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ist die Wahlanfechtung nur binnen einer Frist von zwei Wochen, vom Tage der Bekanntgabe des Wahlergebnisses an gerechnet, zulässig. Die Fristberechnung erfolgt nach den §§ 187 ff BGB. Die Frist endet nach § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des Wochentags, der dem Tag entspricht, an dem das Wahlergebnis zwei Wochen zuvor ausgehängt worden ist. Nach Fristablauf erlischt das Anfechtungsrecht und die Wahl wird unanfechtbar. Dies gilt selbst dann, wenn das Wahlverfahren an wesentlichen Mängeln gelitten hat. 

Wie und bei wem ist der Antrag wegen Wahlanfechtung zu Stellen?

Der mit einer Begründung versehene Antrag wegen Wahlanfechtung muss spätestens am letzten Tag der Frist beim zuständigen Arbeitsgericht eingegangen sein. Das Gericht entscheidet über den Antrag im Beschlussverfahren. Zuständig ist das Arbeitsgericht, in dessen Bezirk der Betrieb liegt (vgl. § 82 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). In Angelegenheiten des Gesamtbetriebsrats, des Konzernbetriebsrats, der Gesamtjugendvertretung oder der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung, des Wirtschaftsausschusses und der Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat ist das Arbeitsgericht zuständig, in dessen Bezirk das Unternehmen seinen Sitz hat (vgl. § 82 Abs. 1 Satz 2 ArbGG). 

Welche Wirkung hat eine erfolgreiche Wahlanfechtung?

Das Gesetz trifft keine Aussage darüber, welche Rechtswirkungen im Fall der begründeten Wahlanfechtung eintreten. Stellt das Arbeitsgericht mit rechtsgestaltender Wirkung fest, dass das Wahlergebnis auf einem Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften beruht, ist entscheidend, ob dieser Mangel nur durch eine Wiederholung der Wahl oder durch eine Korrektur des Wahlergebnisses behoben werden kann. Demnach ist dann entweder die Wahl oder die Feststellung des Wahlergebnisses ungültig (vgl. Richardi BetrVG/Thüsing, 17. Aufl. 2022, BetrVG § 19 Rn. 67 m.w.N.).

Richtet sich die erfolgreiche Anfechtung gegen die Gültigkeit der Wahl des gesamten Betriebsrats, verliert dieser sein Amt erst mit der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung.

Richtet sich die Anfechtung hingegen in erster Linie gegen die Feststellung des Wahlergebnisses, so stellt das Arbeitsgericht lediglich das richtige Wahlergebnis durch Beschluss fest (vgl. BAG, Beschluss vom 22.11.2017 – 7 ABR 35/16, Rn. 10, beck-online).

Betrifft die Wahlanfechtung die mangelhafte Wahl eines Betriebsratsmitglieds, so erklärt das Arbeitsgericht, wenn zur Behebung des Mangels eine Wiederholung der Wahl nicht erforderlich ist, nur die Wahl dieses Mitglieds für ungültig. An dessen Stelle tritt anschließend ein Ersatzmitglied.

Eine Wiederholung der gesamten Wahl wird hingegen dann erforderlich, wenn die Wahl des Betriebsrats insgesamt für ungültig erklärt wird (vgl. Richardi BetrVG/Thüsing, 17. Aufl. 2022, BetrVG § 19 Rn. 77).

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Autorin: Claudia Frietschen (Fachanwältin für Arbeitsrecht)