Grenzen des digitalen Zugangsrechts von Gewerkschaften

Arbeitsgericht Bonn (Urteil vom 11.05.2022, Az. 2 Ca 93/22): Keine aktive Handlungspflicht des Arbeitgebers zur Weiterleitung von Informationen einer Arbeitnehmervereinigung
In seinem Urteil vom 11.05.2022 zum Az. 2 Ca 93/22 hat das Arbeitsgericht Bonn über einen Streit um die Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Weiterleitung einer E-Mail mit einem von einer Arbeitnehmervereinigung gestalteten Inhalt an alle bei der Arbeitgeberin Beschäftigten entschieden.

Im Ergebnis hat das Arbeitsgericht Bonn entschieden, dass die Arbeitgeberin bei einer durch die Corona-Pandemie bedingten Beschäftigung der Arbeitnehmer im Home-Office nicht verpflichtet ist, Informationen einer Arbeitnehmervereinigung an die dienstlichen E-Mailadressen der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer zu versenden.

Die streitentscheidende Norm

Die streitentscheidenden Normen sind die Artikel 9, 12 und 14 Grundgesetz (GG).

Der Art. 9 GG lautet wie folgt:

  • (1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
  • (2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.
  • (3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

Art. 9 Abs. 3 GG schützt u.a. die Betätigungsfreiheit von Arbeitnehmervereinigungen und damit das Recht, Mitglieder zu werben und Informationen über ihre Tätigkeit zu verteilen. Das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn betrifft die Frage, in welchem Umfang dieses Recht besteht und was Arbeitnehmervertretungen hieraus konkret ableiten können. Ist die Arbeitnehmervereinigung für ihre Betätigung auf die Inanspruchnahme von Betriebsmitteln des Arbeitgebers angewiesen, bedarf es einer Abwägung zwischen dem Interesse der Arbeitnehmervereinigung und dem Interesse des Arbeitgebers.

Art. 12 GG lautet folgendermaßen:

  • (1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
  • (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
  • (3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

Art. 12 Abs. 1 GG umfasst auch das Recht auf wirtschaftliche Betätigungsfreiheit.


Art. 14 GG hat folgenden Wortlaut:

  • (1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
  • (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

Art. 14 Abs. 1 GG schützt u.a. das Eigentum von Unternehmen an ihren Betriebsmitteln.  

Der Fall

Die beklagte Arbeitgeberin ist ein Telekommunikationsunternehmen. Der Kläger ist eine bei der Arbeitgeberin vertretener nicht tariffähiger Berufsverband, der sich nach seiner Satzung die Unterstützung und Beratung von Arbeitnehmern und die Vertretung von Beamten in Betrieben der Berufssparten „Telekommunikation und Informationstechnik“ zum Ziel gesetzt hat.

Bei der Beklagten gilt seit dem 01.05.2016 ein Telearbeits-Tarifvertrag. Dieser räumt der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft die Möglichkeit ein, in autonomer und inhaltlicher Verantwortung, gewerkschaftliche Informationen im Intranet der Arbeitgeberin zu hinterlegen. Die Arbeitgeberin kommt dieser Vereinbarung nach, indem sie der bei ihr vertretenen Arbeitnehmervereinigung die Möglichkeit gewährt, im Intranet Informationen zu veröffentlichen und auf ihr Angebot aufmerksam zu machen.

Anlass des Rechtsstreits vor dem Arbeitsgericht Bonn war, dass der Kläger die Arbeitgeberin aufgrund der Corona bedingten Beschäftigung der Arbeitnehmer im Home Office dazu verpflichten wollte, dass diese E-Mails mit einem von dem Kläger gestalteten Inhalt an alle bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer versendet. Inhaltlich betraf die E-Mail Informationen für die Betriebsratswahl 2022. Die Arbeitgeberin lehnte den Versand der E-Mail ab und verwies u.a. auf ihre Neutralitätspflicht in Bezug auf die Betriebsratswahlen. Des Weiteren berief sich die Arbeitgeberin darauf, ihr Eigentum und ihre Betriebsmittel wegen des Schutzes durch Art. 14 Abs. 1 GG nicht zur Verfügung stellen zu müssen.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Bonn

Das Arbeitsgericht Bonn hat die Klage abgewiesen und festgestellt, dass keine Verpflichtung des Arbeitgebers besteht, E-Mails mit einem von einer Arbeitnehmervereinigung gestalteten Inhalt an alle bei der Arbeitgeberin beschäftigten Arbeitnehmer zu versenden.

Der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG umfasst die Betätigungsfreiheit einer Arbeitnehmervereinigung und hierüber auch die Mitgliederwerbung und Information über ihre Aktivitäten. Ist die Arbeitnehmervereinigung für ihre Betätigung jedoch auf die Inanspruchnahme von Betriebsmitteln des Arbeitgebers angewiesen, bedarf es einer Abwägung zwischen dem Interesse der Arbeitnehmervereinigung an einer möglichst umfassenden Information der Arbeitnehmer zu ihren Aufgaben und Leistungen zwecks Mitgliederwerbung einerseits und dem Interesse des Arbeitgebers an einem störungsfreien Betriebsablauf und der Vermeidung der übermäßigen Inanspruchnahme seiner Ressourcen andererseits.Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ist eine Gewerkschaft berechtigt, auch ohne Einwilligung des Arbeitgebers, eigenständig E-Mails an die ihr bekannten dienstlichen E-Mailadressen ihrer Mitglieder zu versenden. Wie das Arbeitsgericht Bonn in seinem Urteil betont, geht das Begehren des Klägers hierüber jedoch deutlich hinaus. Der Kläger begehrt vielmehr, der Arbeitgeberin selbst eine aktive Handlungspflicht aufzuerlegen, indem sie die E-Mails selbst für die Arbeitnehmervereinigung versenden soll. Hierdurch wäre der Arbeitgeber zur Verwendung eigener Ressourcen im Interesse der Arbeitnehmervereinigung gezwungen. Denn in diesem Fall müsste die Arbeitgeberin den Versand der E-Mails organisieren. Zudem müssten alle bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer – also auch diejenigen, die keine Mitglieder der Arbeitnehmervereinigung sind – die E-Mails während ihrer Arbeitszeit zur Kenntnis nehmen.

Im Rahmen der Interessenabwägung hat das Arbeitsgericht Bonn daher entschieden, dass ein Versand von E-Mails mit Informationen über die Arbeitnehmervereinigung durch die Arbeitgeberin zur Wahrnehmung der Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG nicht erforderlich ist, zumal die beklagte Arbeitgeberin der  klagenden Arbeitnehmervereinigung vorliegend über das Intranet bereits Zugangsmöglichkeiten zu allen im Home-Office beschäftigten Arbeitnehmer verschafft hat. Andernfalls würde das Recht der Arbeitgeberin an einem störungsfreien Betriebsablauf übermäßig beeinträchtigt. Eine aktive Handlungspflicht zum Versand der E-Mail obliegt ihr nicht, da sie andernfalls in ihrem Recht auf wirtschaftliche Betätigungsfreiheit aus Ar. 14 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG erheblich beeinträchtigt werden würde.

Der Kläger könne seinen geltend gemachten Anspruch auch nicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem bei der Beklagten geltenden Tarifvertrag stützen, da die tarifliche Regelung den konkret geltend gemachten Anspruch nicht umfasse.

Das Arbeitsgericht Bonn hat die Berufung nach § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gesondert zugelassen. Das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn ist noch nicht rechtskräftig.

Fazit

Nach dem Urteil des Arbeitsgerichts Bonn reicht es zur Wahrung der Rechte einer Arbeitnehmervereinigung nach Art.  9 Abs. 3 GG aus, dass die Arbeitgeberin ihr den Zugang zu den im Home-Office tätigen Beschäftigten über das Intranet ermöglicht. Hierdurch werde das digitale Zugangsrecht hinreichend gewahrt.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Bonn stärkt die Rechte der Arbeitgeberseite und bewegt sich innerhalb der Leitplanken der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.

Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Beschluss vom 15.10.2013 zum Az. 1 ABR 31/12 entschieden, dass Arbeitgeber nicht verpflichtet sind, die Nutzung eines für dienstliche Zwecke eingerichteten E-Mail-Accounts durch die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer zu Zwecken des Arbeitskampfs zu dulden. Eine solche Duldungspflicht ergebe sich nicht aus der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten individuellen Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer. Die Mobilisierung von Arbeitnehmern zur Streikteilnahme sei Aufgabe der jeweiligen Gewerkschaft und ihrer Mitglieder. Vom Arbeitgeber könne jedoch nicht verlangt werden, hieran durch Bereitstellung eigener Betriebsmittel mitzuwirken.

Diese Rechtsprechung hindert Arbeitgeber und Arbeitnehmervereinigungen nicht daran, hiervon abweichende und weitergehende Regelungen zum digitalen Zugang zu vereinbaren, wie dies beispielsweise bei einer zwischen der IG BCE und der Arbeitgeberseite geschlossenen Sozialpartnervereinbarung mit dem Titel „Digitales Zugangsrecht für die IG BCE“ der Fall ist.

Prozessuale Durchsetzung bzw. Abwehr von Ansprüchen

Das Arbeitsgericht entscheidet über Streitigkeiten des betriebsverfassungsrechtlichen Zugangsrechts nach § 2 Abs. 2 BetrVG sowie über die übrigen Streitigkeiten hinsichtlich Aufgaben und Befugnisse der Betriebsparteien, Gewerkschaften und Arbeitsgeberverbände im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren (vgl. §§ 2 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 80 ff. ArbGG). Über Streitigkeiten zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, die sich unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG ergeben, so wie das hier behandelte digitale Zugangsrecht der Arbeitnehmervereinigungen zum Betrieb sowie die Verbreitung von Werbe- und Informationsmitteln, entscheidet das Arbeitsgericht im Urteilsverfahren (vgl. §§ 2 Abs. 1  Nr. 1, 2, Abs. 5, 46 ff. ArbGG).


Autorin: Claudia Frietschen (Rechtsanwältin / Counsel / Fachanwältin für Arbeitsrecht)