Um Kopf und Kragen geredet

Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urteil vom 17.05.2022, Az. 14 Sa 825/21):
Bei personenbedingter Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen kann Berücksichtigung eines zweijährigen Referenzzeitraums im Einzelfall ausreichend sein.


In seinem Urteil vom 17.05.2022 zum Az. 14 Sa 825/21 hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf über eine personenbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen zu entscheiden. Bei der Beurteilung der negativen Gesundheitsprognose stellt es auf einen nur zweijährigen Referenzzeitraum ab.

Der Fall

Im Streit stand die Wirksamkeit einer ordentlichen, personenbedingten Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, welches seitens der beklagten Arbeitgeberin gekündigt wurde.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Sicherheitsbranche. Sie hat rund 1.100 Beschäftigte. Diese führen Fluggastkontrollen am Flughafen E. durch. Zwischen der Beklagten und dem Kläger bestand seit dem 11.08.2018 ein Arbeitsverhältnis, das zunächst auf ein Jahr befristet war und anschließend unbefristet fortgesetzt wurde. Der Kläger wurde als Luftsicherheitsassistent in einem 6/2-Schichtsystem beschäftigt. Sein durchschnittliches Bruttomonatsentgelt betrug 2.661,40 €.

Im Jahr 2019 war der Kläger innerhalb von neun unterschiedlichen Zeiträumen an insgesamt 36 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt, für die die Beklagte 3.053,64 € brutto an Entgeltfortzahlung entrichtete. Im Jahr darauf war der Kläger in 13 Zeiträumen an insgesamt 82 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt, an denen die Beklagte Entgelt iHv. 6.955,50 € brutto fortzahlte. Die Zeiträume der Arbeitsunfähigkeit beruhten auf unterschiedlichen Erkrankungen, insbesondere auf Bronchitis, akuter Infektion der oberen Atemwege, Kreuz-, Lendenschmerz und Lumbago, Radikulopathie im Lumbosakral sowie im Thorakolumbal Bereich, Skoliose im Thorakalbereich, Gelenkschmerz im Unterschenkel, Gonarthrose, virusbedingter Darminfektion, Enteritis, Gastroenteritis und Kolitis und nicht näher bezeichneten Virusinfektionen sowie an Schwindel und Kopfschmerzen und an Problemen mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung. Am 02.10.2019 wurde die Arbeitsunfähigkeit durch eine Erkrankung der Zähne bzw. des Zahnhalteapparates verursacht und die Arbeitsunfähigkeit vom 20. – 29.12.2019 durch Übelkeit und Erbrechen. Keine Ursachen wurden für die Arbeitsunfähigkeiten vom 12. – 14.07.2019 und vom 11. – 13.10.2019 dargetan.

Mit Schreiben vom 23.07.2020 lud die Beklagte den Kläger zu einem „Klärungsgespräch im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements“ (sog. bEM) ein. Der Wortlaut des Einladungsschreibens lautete auszugsweise wie folgt:

„Ziel des Verfahrens ist es, gemeinsam mit Ihnen nach Wegen zu suchen, Ihre Arbeitsunfähigkeit schneller zu überwinden, eine erneute Arbeitsunfähigkeit zu verhindern, möglichen Behinderungen und chronischen Erkrankungen vorzubeugen und den Arbeitsplatz dauerhaft zu sichern. Im Rahmen des bEM wird dabei ermittelt, ob Ihre Arbeitsunfähigkeitszeiten auf betriebliche[n] Ursachen beruhen und gegebenenfalls gemeinsam mit Ihnen ein individueller Maßnahmenplan erstellt, um einer erneuten Arbeitsunfähigkeit für die Zukunft vorzubeugen.“

Daraufhin stimmte der Kläger der Durchführung des bEM zu und verneinte dabei, dass ein Vertreter des Betriebsrats dem gebildeten Integrationsteam angehören solle. Am 29.10.2020 fand ein Gespräch im Rahmen des bEM statt, an dem eine Mitarbeiterin der Beklagten als Gesundheitsmanagerin und der Kläger teilnahmen. Der Kläger gab an, sehr viel privaten Stress durch Wohnungssuche und Hochzeit gehabt zu haben. Hingegen machte er keine Angaben zu einzelnen Erkrankungen oder weiteren Krankheitsursachen. Im Gesprächsprotokoll wurde u.a. festgehalten, der Kläger habe am 19.09.20 geheiratet und habe seitdem keinen Stress mehr. Der Kläger erklärte, wieder voll einsatzfähig zu sein und aktuell keine Erkrankungen zu haben, die ihn bei der Arbeit beeinträchtigen. Das beM-Verfahren wurde daraufhin am 29.10.2020 einvernehmlich beendet.

Im Jahr darauf hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger an. Anschließend kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 31.03.2021. In diesem Zusammenhang sprach die Beklagte insgesamt 23 Kündigungen aus, nicht aber noch weitere im Zeitraum von 30 Tagen vor und nach diesen Kündigungen.

Der Kläger erhob am 18.03.2021 Kündigungsschutzklage und begehrte für den Fall des Obsiegens seine Weiterbeschäftigung.

Die streitentscheidenden Normen

Streitentscheidende Normen waren im Wesentlichen § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 KSchG,
§ 138 ZPO und § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX.

Der Entscheidungsmaßstab nach der Rechtsprechung des BAG

In ständiger Rechtsprechung prüft das BAG hinsichtlich der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen folgende drei Stufen (vgl. u.a. BAG, Urteil vom 25.04.2018 – 2 AZR 6/18; Urteil vom 16.07.2015 – 2 AZR 15/15; Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13).

1. Stufe: Negative Gesundheitsprognose

Die erste Stufe erfordert eine negative Gesundheitsprognose. Hierfür müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt (vgl. BAG, Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13). Hierbei wird regelmäßig auf einen dreijährigen Referenzzeitraum abgestellt, der jedoch nicht starr ist, sondern aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls kürzere, hinreichend prognosefähige Fehlzeitenräume zulässt (vgl. BAG, Urteil vom 25.04.2018 – 2 AZR 6/18).

Im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses darf sich der Arbeitgeber zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Sodann obliegt es dem Arbeitnehmer gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Hierfür reicht der Vortrag des Arbeitnehmers, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags obliegt es dann wiederum dem Arbeitgeber, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen.

2. Stufe: Erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen

Außerdem müssen die prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen.

3. Stufe: Interessenabwägung

Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung ist sodann zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Düsseldorf in erster Instanz

Der Kläger hat in erster Instanz obsiegt. Zur Begründung seines Urteils vom 05.08.2021 hat das Arbeitsgericht (AG) Düsseldorf im Wesentlichen ausgeführt, gemessen an den in der Rechtsprechung des BAG aufgestellten Grundsätzen zur Prüfung einer auf häufige Kurzerkrankungen gestützten Kündigung erweise sich die Kündigung als unwirksam, da die bisherigen Fehlzeiten keine negative Gesundheitsprognose indizierten. Hierbei stellte das AG auf einen Referenzzeitraum von zwei Jahren ab und führte aus, der Kläger sei im 6/2-Schichtsystem bis zu sechs Arbeitstagen pro Woche tätig, so dass er im Jahr 2019 an 36 Arbeitstagen höchstens sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Nur in einem Jahr, 2020, sei der Ausfall erheblich gewesen. Nach dem bEM-Gespräch sei der Kläger nur noch an elf Kalendertagen arbeitsunfähig erkrankt gewesen.

Die Entscheidung des LAG Düsseldorf in zweiter Instanz

Das LAG Düsseldorf hat auf die Berufung der Beklagten hin das erstinstanzliche Urteil des AG Düsseldorf abgeändert und die Klage abgewiesen und festgestellt, dass der Kündigungsschutzantrag des Klägers unbegründet ist. Die  Kündigung vom 25.02.2021 sei wirksam und das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.03.2021 aufgelöst worden. Die Kündigung sei nicht nach § 1 Abs. 1, 2 KSchG unwirksam, sondern durch Gründe in der Person des Klägers bedingt.

Zur Begründung führt das LAG Düsseldorf aus, zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung habe die Prognose bestanden, dass der Kläger weiter im bisherigen Umfang arbeitsunfähig erkrankt sein wird (1. Stufe). Der Kläger habe den diesbezüglichen Vortrag der Beklagten nach § 138 Abs. 2 ZPO zugestanden. Die danach eingeräumten Erkrankungen stützten die negative Gesundheitsprognose, da sie auf eine nicht unerhebliche Krankheitsanfälligkeit schließen ließen. Der Kläger habe Leiden von Kopf bis Schienbein, mehrere nicht näher spezifizierte Viruserkrankungen sowie Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung vorgetragen. Bei Erkältungs- und Entzündungskrankheiten und Beschwerden des Bewegungsapparates könne regelmäßig von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden, wenn keine besonderen Therapiemaßnahmen erfolgen (vgl. LAG Köln, Urteil vom 12.03.2021 – 10 Sa 804/20; BAG, Urteil vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05). Solche besondere Maßnahmen seien vorliegend nicht ersichtlich.

Die Wiederholungsgefahr sei auch für die übrigen Erkrankungen des Klägers begründet, da er selbst im bEM-Gespräch am 29.10.2021 und in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, diese seien durch sehr viel privaten Stress ausgelöst worden. Sehr viel privater Stress könne den Kläger jedoch in allen Lebenslagen ereilen, weshalb es dann auch nahe liege, dass die verschiedenen, stressbedingten Erkrankungen erneut auftreten. In die Prognose einzubeziehen seien auch die Kranktage ohne vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, für die der Kläger keinen Grund vorgetragen habe. Insoweit bleibe es bei der Behauptung der Beklagten, die Fehlzeiten würden auch zukünftig auftreten.

Weiter gestützt werde die negative Gesundheitsprognose auf das zeitliche Auftreten der Arbeitsunfähigkeiten. Dabei erschien es dem LAG Düsseldorf bedeutsam, dass der Kläger in den ersten elf Monaten des Arbeitsverhältnisses keinerlei Krankentage aufwies. Dies lege die Vermutung nahe, dass die häufigeren Arbeitsunfähigkeiten im unbefristeten, gesicherten Arbeitsverhältnis eher signifikant für die Konstitution des Klägers seien. Auch nach der vom Kläger im bEM-Gespräch getätigten Äußerung, der private Stress habe geendet, seien weitere Arbeitsunfähigkeitszeiträume in nicht unerheblichem Umfang aufgetreten.

Der Referenzzeitraum von zwei Jahren stelle hier eine hinreichende Basis der negativen Prognose dar. Legte man den Durchschnitt des Referenzzeitraums zugrunde (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 23.01.2014 – 2 AZR 582/13), wäre von 59 Arbeitstagen mit Arbeitsunfähigkeit jährlich auszugehen; selbst bei einem Abstellen auf den Minimalwert wären jährlich zumindest 36 Arbeitstage mit Arbeitsunfähigkeit zu erwarten.

Die betrieblichen Interessen der Beklagten seien durch die zukünftigen Arbeitsunfähigkeiten des Klägers erheblich beeinträchtigt (2. Stufe), da jährlich Entgeltfortzahlungskosten für mehr als sechs Wochen zu erwarten seien. Bei einer Fünf-Tage-Woche kommt es danach darauf an, dass die Entgeltfortzahlungskosten den Zeitraum von 30 Arbeitstagen überschreiten. Bei Anwendung eines 6/2-Schichtsystems müssen die Entgeltfortzahlungskosten nach der Entscheidung des LAG Düsseldorf insgesamt 31,5 Arbeitstage jährlich übersteigen.Die Kündigung sei auch verhältnismäßig (3. Stufe). Sie sei erforderlich, weil es kein angemessenes milderes Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt (vgl. BAG, Urteil vom 18.11.2021 – 2 AZR 138/21; Urteil vom 20.03.2014 – 2 AZR 565/12). Das bEM sei ordnungsgemäß durchgeführt worden und habe ein solches Mittel nicht aufgezeigt. Ein erneutes bEM sei vor Ausspruch der Kündigung nicht geboten gewesen.

Die Beklagte sei seinerzeit nach § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet gewesen, ein bEM durchzuführen, da der Kläger innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen wiederholt arbeitsunfähig war. Dafür kommt es auf die Gesamtheit der Fehltage und nicht darauf an, ob einzelne durchgehende Krankheitsperioden den Zeitraum von sechs Wochen überschritten haben. Mit Blick auf die Darlegungs- und Beweislast für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung könne sich der Arbeitgeber zunächst auf die Behauptung beschränken, für den Arbeitnehmer bestehe keine andere, seinem Gesundheitszustand entsprechende Beschäftigungsmöglichkeit. War der Arbeitgeber aber gem. § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zur Durchführung eines bEM verpflichtet und ist er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, obliegt ihm die Darlegungs- und Beweislast für den Umstand, dass auch ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten.

Führt ein ordnungsgemäß durchgeführtes bEM zu der Erkenntnis, es gebe keine Möglichkeiten, die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu überwinden oder künftig zu vermeiden, genügt der Arbeitgeber seiner Darlegungslast gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG, wenn er auf diesen Umstand hinweist und behauptet, es bestünden keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten (vgl. BAG, Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13). Ein Verfahren entspricht den gesetzlichen Anforderungen an ein beM, wenn die zu beteiligenden Stellen, Ämter und Personen einbezogen, keine vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Anpassungs- und Änderungsmöglichkeiten ausgeschlossen und die von den Teilnehmenden eingebrachten Vorschläge sachlich erörtert werden (vgl. BAG, Urteil vom 20.05.2020 – 7 AZR 100/19).

Das Gesetz regelt nicht explizit, wann ein bEM abgeschlossen ist. Es ist jedenfalls dann abgeschlossen, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einig sind, dass der Suchprozess durchgeführt ist oder nicht weiter durchgeführt werden soll. Gemessen daran erweist sich das im Herbst 2020 durchgeführte bEM vor allem wegen seines einvernehmlichen Abschlusses als nicht fehlerhaft, auch wenn es inhaltlich nicht den aus § 167 Abs. 2 SGB IX abzuleitenden gesetzlichen Mindeststandards entsprochen habe. Denn es sei nicht der Versuch unternommen worden zu klären, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist. Ebenso wenig wurde der Versuch unternommen zu klären, mit welchen Hilfen oder Leistungen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann. Dennoch bewertet die Kammer das inhaltlich unvollständige bEM als nicht fehlerhaft, da der Kläger und die Vertreterin der Beklagten es einvernehmlich abschlossen. Dabei war entscheidend, ob der Arbeitnehmer die notwendigen Kenntnisse über das bEM-Verfahren besaß, um beurteilen zu können, ob es beendet oder fortgesetzt werden sollte, was das LAG Düsseldorf bejaht hat.

Das LAG Düsseldorf bewertet die Kündigung auch als angemessen; die von ihm vorgenommene Interessenabwägung geht zu Lasten des Klägers. Das Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegt, da ihr auf Dauer nicht zumutbar war, die zu erwartenden Störungen hinzunehmen.

Das LAG hat die Revision an das BAG nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen. Der entscheidungserheblichen Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein inhaltlich unzureichendes bEM einvernehmlich beendet werden kann, kommt grundsätzliche Bedeutung zu. Zur Begründung führt das LAG Düsseldorf aus, diese Rechtsfrage sei durch die Entscheidung des BAG vom 18.11.2021 zum Az. 2 AZR 138/21 nicht geklärt.

Fazit

Die Weigerung des Arbeitnehmers, an einem bEM teilzunehmen, kann kündigungsrechtliche Nachteile haben. Auch eine zu passive Haltung während der Durchführung der bEM-Gespräche kann dem Arbeitnehmer zum Nachteil gereichen, wenn hierdurch die falschen Informationen zurückgehalten werden. Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, seinem Arbeitgeber die Gründe für seine Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen, auch nicht im Rahmen eines bEM. Er kann sich hierzu äußern, muss es aber nicht. Die Teilnahme am bEM ist für den Arbeitnehmer daher eine Gradwanderung, die einen Bedarf an anwaltlicher Beratung dahingehend auslösen kann, welche persönlichen Umstände offengelegt werden sollten und welche nicht. Gleiches gilt für entsprechende Ausführungen im Kündigungsschutzprozess.

Das Urteil des LAG Düsseldorf lässt den Schluss zu, dass ein Arbeitnehmer mit häufigen Kurzerkrankungen sich bei seiner Teilnahme am bEM oder auch im Kündigungsschutzprozess bei der Offenlegung seiner konkreten Erkrankungen jedenfalls dann um Kopf und Kragen redet, wenn diese keinen Bezug zur ausgeübten Tätigkeit haben und das bEM deshalb zu dem negativen Ergebnis führt, dass keinerlei leidensgerechte Möglichkeit zur Fortführung des Arbeitsverhältnisses besteht. Denn in diesem Fall genügt der Arbeitgeber seiner Darlegungslast nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG, wenn er auf diesen Umstand hinweist und behauptet, es bestünden keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten.

Hingegen empfiehlt es sich für Arbeitgeber aus Dokumentationsgründen, während des bEM-Gesprächs Protokoll unter Bestimmung eines Protokollführers zu führen. Anschließend sollte der Arbeitgeber das bEM-Protokoll von den Beteiligten als „so geschehen“ unterschreiben lassen und zur gesondert geführten bEM-Akte nehmen.
Hat das beM ein positives Ergebnis, sollten am Ende mögliche Eingliederungsmaßnahmen besprochen sowie der weitere zeitliche Ablauf abgestimmt werden und auch dies im Protokoll festgehalten werden.

Der Arbeitgeber muss jedoch bei der Durchführung eines bEM neben den formellen auch zahlreiche datenschutzrechtliche Anforderungen beachten, da personenbezogenen Daten und Gesundheitsdaten verarbeitet werden. Er ist gezwungen, den Beschäftigtendatenschutz einzuhalten, was sich auf vielfache Weise – so z.B. bereits bei der Frage der Aktenführung (bEM-Akte gesondert von Personalakte usw.) – auswirkt. So darf beispielsweise die Darstellung der Maßnahmen in der Personalakte keine Rückschlüsse auf die konkrete Erkrankung zulassen.

Hat das bEM allerdings ein negatives Ergebnis und entscheidet sich der Arbeitgeber deshalb für eine personenbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen, so stellt sich jedenfalls spätestes im Kündigungsschutzprozess die Frage, ob die aus dem bEM gewonnenen Informationen im gerichtlichen Verfahren verwertet werden würden, zumal die am bEM beteiligten Personen der Verschwiegenheitspflicht und dem Datenschutz unterliegen. Ob eine Information überhaupt offengelegt und verwertet werde darf, hängt davon ab, um welche Art von Daten es sich handelt. Es wird differenziert nach Personaldaten mit Gesundheitsbezug, Verfahrensergebnisse sowie bEM-Gesundheitsdaten.

Autorin: Claudia Frietschen (Rechtsanwältin / Fachanwältin für Arbeitsrecht)