Zur Reform des Statusfeststellungsverfahrens

Durch Inkrafttreten des „Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes“ (BR-Drs. 240/21; BT-Drucksache 19/28653) gelten seit dem 01.04.2022 für das Statusfeststellungsverfahren Neuregelungen. Hierdurch sind keine materiell-rechtlichen Änderungen eingetreten, aber das Verfahren an sich wurde geändert, indem neue Instrumente für das Feststellungsverfahren geschaffen wurden. Wesentliche Bausteine der zum 01.04.2022 in Kraft getretenen Reform gelten zunächst zur Erprobung und sind deshalb zeitlich begrenzt bis 30.06.2027 (vgl. § 7a Abs. 7 S. 1 SGB IV nF). Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund hat bis zum 31.12.2025 einen Bericht über ihre Erfahrungen bei der Anwendung der neuen Instrumente vorzulegen.

Was ist ein Statusfeststellungsverfahren und wen betrifft es?

Sinn und Zweck des zum 01.01.1999 eingeführten Statusfeststellungsverfahrens ist, den sozialversicherungsrechtlichen Status einer Person verbindlich zu klären. Das Statusfeststellungsverfahren dient der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit. Neu ist seit dem 01.04.2022, dass jedoch nicht mehr über die Versicherungspflicht, sondern nur noch über den Erwerbsstatus entschieden wird.

Zuständig für das Statusfeststellungsverfahren ist die Clearingstelle der DRV Bund. Die Durchführung kann sowohl vom Arbeitgeber bzw. Auftraggeber als auch vom Arbeitnehmer bzw. Auftragnehmer beantragt werden. In bestimmten Fällen ist das Statusfeststellungsverfahren zwingend durchzuführen. Die Antragsformulare werden von der DRV Bund gestellt. Zu den Formularen und zur Durchführung bestehen Verwaltungshinweise der DRV und des GKV-Spitzenverbands.

Was hat sich zum 01.04.2022 im Wesentlichen geändert?

Zum 01.04.2022 wurden folgende neue Verfahrensinstrumente eingeführt:

1. Isolierte Feststellung des Erwerbsstatus § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV nF

Seit dem 01.04.2022 wird anstelle der Versicherungspflicht der Erwerbsstatus festgestellt. Die Feststellung des Erwerbsstatus ist seit dem 01.04.2022 nicht mehr auf „Beschäftigungen“ beschränkt; auch eine „selbstständigen Tätigkeit“ kann seitdem festgestellt werden. Mit der Feststellung des Erwerbsstatus wird jedoch keine verbindliche Aussage über die Versicherungspflicht in den jeweiligen Zweigen der Sozialversicherung getroffen.

Vor der Reform erfolgte in den Fällen, in denen eine Sozialversicherungspflicht aus sonstigen Gründen entfiel (z.B. entgeltgeringfügiger Beschäftigung im „Minijob“ oder bei zeitgeringfügiger Beschäftigung in „kurzfristiger Beschäftigung“), keine Klärung des Erwerbsstatus. Neu ist seit dem 01.04.2022, dass nun auch bei Minijobbern Statusfeststellungsverfahren durchgeführt werden können. Ebenso können nun auch hinsichtlich der Fragen über die Beitragsbelastung oder Pflichtversicherung von Selbständigen Statusfeststellungsverfahren geführt werden. Für den Arbeitgeber stellen dies wichtige Neuerungen dar, da er so Fragen der Beitragsbelastung (vgl. § 172 Absatz 1 Nr. 1 SGB VI) oder die Frage der Pflichtversicherung für Selbständige (vgl. § 2 SGB VI) klären kann.

Die im Statusfeststellungsverfahren zum Erwerbsstatus getroffene Feststellung entfaltet eine weitreichende Bindungswirkung. Diese bindet die Einzugsstellen bei Prüfungen nach § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV und die Rentenversicherungsträger bei Betriebsprüfungen nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV sowie bei Prüfungen nach § 2 SGB VI. Soweit die Feststellung der Versicherungspflicht eine Voraussetzung für Leistungsansprüche der Arbeitsförderung ist, erfasst die Bindungswirkung auch Entscheidungen der Bundesagentur für Arbeit. 

2. Antragsrecht vor Aufnahme der Tätigkeit – § 7a Abs. 4a SGB IV nF

Das neue Instrument der Prognoseentscheidung ist in § 7a Abs. 4a Satz 1 SGB IV geregelt. Danach kann bereits vor der Aufnahme einer Tätigkeit eine Feststellung über den Erwerbsstatus herbeigeführt werden. Die Prognoseentscheidung wird auf Grundlage der schriftlichen Vereinbarungen und der beabsichtigten Umstände der Vertragsdurchführung getroffen (vgl. § 7a Abs. 4a Satz 2 SGB IV).

Ändern sich die schriftlichen Vereinbarungen oder die Umstände der Vertragsdurchführung bis zu einem Monat nach der Aufnahme der Tätigkeit, müssen die am Vertragsverhältnis Beteiligten dies der DRV Bund unverzüglich mitteilen (vgl. 7a Abs. 4a Satz 3 SGB IV). Ergibt sich hieraus eine wesentliche Änderung, hebt die DRV Bund die Prognoseentscheidung nach Maßgabe des § 48 SGB X auf und trifft eine neue Entscheidung auf der Grundlage der tatsächlichen Umstände, die dem Vertragsverhältnis in der Praxis zugrunde liegen.

3. Turbofeststellung – § 7a Abs. 4 S. 2 SGB IV nF

Nach § 7a Abs. 4 Satz 1 SGB IV teilt die DRV Bund den Beteiligten mit, welche Entscheidung sie zu treffen beabsichtigt, bezeichnet die Tatsachen, auf die sie ihre Entscheidung stützen will, und gibt den Beteiligten Gelegenheit, sich zu der beabsichtigten Entscheidung zu äußern. Dies gilt nach § 7a Abs. 4 Satz 2 SGB IV nicht, wenn die DRV Bund einem übereinstimmenden Antrag der Beteiligten entspricht. § 7a Abs. 4 Satz 3 SGB IV bestimmt, dass die Höchstbearbeitungszeit ab dem 01.04.2022 drei Monate beträgt.

4. Mündliche Anhörung im Widerspruchsverfahren – § 7a Abs. 6 S. 2 SGB IV nF

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens besteht die Möglichkeit, einen Antrag auf mündliche Anhörung zu stellen. Dieser muss begründet werden. Diese Neuregelung soll ersichtlich einer Überbeanspruchung der DRV Bund entgegenwirken und somit letztlich einer Verfahrensbeschleunigung zugutekommen.

5. Statusfeststellung bei Dreiecksverhältnissen – § 7a Abs. 2 S. 2, 3 SGB IV nF

Neu ist die Möglichkeit der Feststellung, ob ein qualifiziertes Beschäftigungsverhältnis auch nur zu einem Dritten besteht. Diese Neuregelung betrifft die Konstellationen der Arbeitnehmerüberlassung und der Scheinwerk- sowie Scheindienstverträge. Nach § 7a Absatz 2 S. 2 SGB IV steht es allen drei Beteiligten zu, eine Beurteilung der sozialversicherungsrechtlichen Vertragsbeziehungen innerhalb des Dreiecksverhältnisses – also gerade nicht nur innerhalb der eigenen Vertragsbeziehung zum Arbeitnehmer bzw. (Schein-)Selbständigen – beantragen. Hierfür müssen jedoch Anhaltspunkte für eine Eingliederung des Beschäftigten in die Arbeitsorganisation des Dritten vorliegen. Insbesondere ist vorzutragen, ggf. durch wen das Weisungsrecht ausgeübt wird und welche Indizien für eine Eingliederung sprechen.  Inhalt der Feststellung ist nach § 7a Abs. 2 Satz 2 SGB IV auch, mit wem das Beschäftigungs- bzw. Auftragsverhältnis besteht. Die Feststellung der DRV Bund entfaltet gegenüber anderen Versicherungsträgern nach § 7a Abs. 2 Satz 4 SGB IV Bindungswirkung.

6. Gruppenfeststellung – § 7a Abs. 4b und 4c SGB IV nF

Vor der Reform war bei mehreren Auftragsverhältnissen auf Grundlage einheitlicher Vereinbarungen für jeden Auftrag ein eigenes Statusfeststellungsverfahren erforderlich. Seit dem 01.04.2022 besteht die Möglichkeit, ein Gruppenfeststellungsverfahren durchzuführen. Dies entlastet insbesondere den Auftraggeber bei gleichen Aufträgen, da er nicht mehr separate Statusfeststellungsverfahren für jeden einzelnen Auftragnehmer durchführen muss. Bei der Gruppenfeststellung kann beantragt werden, den Erwerbsstatus gleicher, auch zukünftiger Tätigkeiten zu beurteilen. Bei der Gruppenfeststellung handelt es sich um eine gutachterliche Äußerung, die anders als ein Verwaltungsakt keine Bindungswirkung entfaltet. Sie bewirkt jedoch einen dahingehenden Vertrauensschutz für alle von der Beurteilung umfassten Stellen bzw. Aufträge, die innerhalb von zwei Jahren nach Erhalt des Gutachtens geschlossen werden, dass die Beitragspflicht grundsätzlich nicht rückwirkend festgestellt werden kann. Es empfiehlt sich daher, die Gruppenfeststellung lückenlos nachzuhalten.