Verjährung – Verfall – Übertragung: Worauf haben Arbeitgeber bei Urlaubsansprüchen zu achten

Das Urlaubsrecht wurde in den letzten Jahren durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) stark verändert und verkompliziert. Dieser Beitrag soll Ihnen einen kurzen Überblick über die wichtigsten Punkte zum Umgang mit Urlaubsansprüchen geben und aufzeigen, was Arbeitgeber zu beachten haben.

1. Verfall von Urlaubsansansprüchen

Bereits am 06.11.2019 hat der EuGH (Az.: C-684/16) die Regelungen zum Verfall von Urlaubsansprüchen grundlegend verändert. Bis zu diesem Urteil wurde angenommen, dass Urlaubsansprüche mit dem Ende des Urlaubsjahres, spätestens zum 31.03. des Folgejahres verfallen, wenn der Arbeitnehmer sie nicht in Anspruch genommen hat. 

a) Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers
Der EuGH hat in seiner Entscheidung festgelegt, dass Urlaubsansprüche nur verfallen, wenn Arbeitgeber die Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt haben, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen und die Arbeitnehmer diesen aus freien Stücken nicht genommen haben. Arbeitgeber sind daher verpflichtet, die Arbeitnehmer über ihren konkreten Urlaubsanspruch zu belehren, wenn sie verhindern wollen, dass die Arbeitnehmer Urlaubsansprüche anhäufen.

Arbeitgeber haben ihre Arbeitnehmer daher aufzufordern, ihren Urlaub zu nehmen und ihnen klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder eines Übertragungszeitraumes verfällt, wenn sie ihn nicht beantragen. Es soll genügen, wenn der Arbeitgeber zu Jahresbeginn in Textform mitteilt, wie viele Arbeitstage Urlaub dem Arbeitnehmer im Kalenderjahr zustehen und auffordert, den Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er im laufenden Urlaubsjahr genommen werden kann. Zugleich hat der Arbeitgeber über die Konsequenzen zu belehren, die eintreten, wenn die Arbeitnehmer ihren Urlaub nicht nehmen (vgl. BAG, Urteil vom 19.02.2019 – 9 AZR 423/16). 

b) Zusatzurlaub schwerbehinderter ArbeitnehmerIn einem Urteil vom 26.04.2022 hat das BAG (Az.: 9 AZR 367/21) klargestellt, dass die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers durch den Hinweis auf den Verfall und die rechtzeitige Urlaubsnahme auch für Zusatzurlaub von schwerbehinderten Menschen gilt. Sofern der Arbeitgeber aber keine Kenntnis von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers hat und diese auch nicht offenkundig ist, verfällt der Zusatzurlaub nach den gesetzlichen Regelungen, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer entsprechend belehrt hat. In den Fällen des Verfalls von Zusatzurlaub sind jedoch Besonderheiten zu beachten, wenn etwa ein Antrag auf Schwerbehinderung abgelehnt wurde und der Arbeitnehmer hiergegen Widerspruch eingelegt hat. Bei Fragen kommen Sie daher gerne auf Frau Rechtsanwältin Jane Hohmann zu. 


c) Langzeiterkrankte ArbeitnehmerLange war umstritten, ob die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers auch bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern gewahrt werden muss, obwohl diese nicht in der Lage sind, ihren Urlaub in Anspruch zu nehmen. Der EuGH (Urteil vom 22.09.2022 – C-518/20, C-727/20) verlangt auch in diesen Fällen, dass Arbeitgeber die Arbeitnehmer in die Lage versetzen, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Diese Pflicht besteht jedoch nur, wenn der Arbeitnehmer im jeweiligen Urlaubsjahr gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden ist.

Hat der Arbeitnehmer im gesamten Urlaubsjahr nicht gearbeitet, ist er nicht über den Urlaubsverfall zu belehren. Der Urlaubsanspruch verfällt dann – auch ohne Belehrung – mit Ablauf der 15-Monatsfrist, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31.03. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen gehindert war, seinen Urlaub zu nehmen (BAG, Urteil vom 20.12.2022 – 9 AZR 245/19).


2. Verjährung

Auch bei der Verjährung wirken sich die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers aus.

a) Laufendes Arbeitsverhältnis
Im bestehenden Arbeitsverhältnis tritt eine Verjährung des Urlaubsanspruchs nur ein, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch zu nehmen (EuGH, Urteil vom 22.09.2022 – C-120/21). Das BAG hat diese Rechtsprechung im Urteil vom 20.12.2022 (Az.: 9 AZR 266/20) fortgeführt und entschieden, dass die Verjährungsfrist von Urlaubsansprüchen erst mit dem Schluss des Jahres beginne, in dem der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheit erfüllt hat. 

b) Nach Beendigung des ArbeitsverhältnissesIn einer Entscheidung vom 31.01.2023 (Az.: 9 AZR 456/20) hat das BAG zum Beginn der Verjährungsfrist von Urlaubsabgeltungsansprüchen bei einem beendeten Arbeitsverhältnis Stellung genommen. Die Verjährungsfrist von Urlaubsabgeltungsansprüchen beginnt danach solange nicht, wie eine Klageerhebung aufgrund einer gegenteiligen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zumutbar ist.

In dem Urteil ging es um Urlaubsansprüche eines Arbeitnehmers aus den Jahren von 2010 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Oktober 2015. Das BAG hat hinsichtlich der Verjährung der Urlaubsabgeltungsansprüche zwischen Urlaubsabgeltungsansprüchen von 2010 bis 2014 und denjenigen aus 2015 unterschieden. Für 2015 sind nach Ansicht des BAG die Urlaubsabgeltungsansprüche verjährt, weil es für den Arbeitnehmer erkennbar war, dass mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Urlaubsansprüche aus diesem Jahr abzugelten sind. Aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des BAG war es aber für den Kläger hinsichtlich der Jahre 2010 bis 2014 nicht ersichtlich, dass noch Urlaubsabgeltungsansprüche bestehen, da er von einem Verfall ausgehen musste. Hinsichtlich dieser Urlaubsabgeltungsansprüche war der Kläger daher erst nach der Rechtsprechung des EuGH gehalten, die Abgeltung für Urlaubsansprüche aus 2010 bis 2014 gerichtlich geltend zu machen.

Die Urteilsgründe sind bisher noch nicht veröffentlicht. Es bleibt daher abzuwarten, ob das BAG ggfs. sogar eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Geltendmachung von Urlaubsabgeltungsansprüchen vorsieht. Die weitere Entwicklung behalten wir für Sie im Blick und informieren Sie unmittelbar.

Das BAG hat in zwei Urteilen aus dem Jahr 2022 (Az.: 9 AZR 461/21 und 9 AZR 341/21) zudem bestätigt, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch aufgrund einer wirksamen Ausschlussfrist entfallen kann. Es ist daher zu empfehlen, die Arbeitsverträge und die darin enthaltenen Ausschlussfristen zu prüfen und ggfs. anzupassen. 

3. Fazit

Es ist Arbeitgebern anzuraten, entsprechende Hinweisschreiben an die Arbeitnehmer zu verteilen, um den Verfall von Urlaubsansprüchen oder eine Verjährung zu erreichen. Der Hinweis sollte zu Beginn eines jeden Jahres an die Mitarbeiter erfolgen, um auch Mitarbeiter zu erfassen, bei denen ggfs. im Laufe des Jahres eine Erwerbsminderung festgestellt wird. Bei Fragen wenden Sie sich gerne an unsere Arbeitsrechtsexperten Frau Jane Hohmann, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Frau Vivien Demuth, Rechtsanwältin.